Genetische Diagnostik des atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms (aHUS, komplement-vermitteltes HUS)

Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS oder komplement-vermitteltes HUS) ist neben der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) und dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) eine von drei klassischen Formen der thrombotischen Mikroangiopathie (TMA) und durch den Symptomkomplex Thrombozytopenie, mikroangiopathische hämolytische Anämie und akutes Nierenversagen charakterisiert. Ätiologisch abzugrenzen ist aHUS vom typischen HUS, welches durch Bakterientoxine (z.B. Shigatoxin) nach Infektionen, v.a. Shigellen oder Salmonellen verursacht wird. Die klinische Überschneidung der Symptome zwischen den verschiedenen Formen der TMA sowie die Komplexität der zugrundeliegenden Pathomechanismen machen die Diagnostik von aHUS zu einer großen Herausforderung.

Die Manifestation von aHUS ist vielschichtig

Die Entstehung von aHUS ist multifaktoriell und höchst individuell. Verschiedene genetische und nicht-genetische Risikofaktoren können Auslöser (Trigger) für die Entwicklung eines aHUS sein. Neben dem Vorliegen einer oder mehrerer sich gegenseitig verstärkender Veränderungen in Genen des alternativen Komplementweges ist für die Manifestation der Erkrankung immer ein zusätzlicher Auslöser, wie z.B. eine Schwangerschaft, Transplantation oder eine andere Erkrankung erforderlich. Deswegen ist trotz vorliegender genetischer Prädisposition das Erkrankungsrisiko innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich. Patienten mit einem zugrundeliegenden Komplementdefekt haben ein erhöhtes Risiko ein aHUS zu entwickeln. Verschiedene genetische Formen von aHUS sind mit unterschiedlichen klinischen Verläufen verbunden, weswegen die genetische Testung bei atypischem HUS für Beurteilung und Therapieplanung von besonderer Relevanz ist.

Die genetische Testung von aHUS ist sehr anspruchsvoll

Die für aHUS charakteristische unkontrollierte Aktivierung des Komplementsystems wird in vielen Fällen zunächst durch genetische Veränderungen in Genen der Komplementkaskade verursacht. Neben einfachen Einzelnukleotidveränderungen (single nucleotide variants, SNVs) und Kopienzahlveränderungen (copy number variants, CNVs) in den ursächlichen Genen können zudem auch Hybridgene für die Entstehung des atypischen HUS verantwortlich sein. Darüber hinaus wurden bestimmte Haplotypen beschrieben, also spezifische Kombinationen genetischer Normvarianten, die mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert sind. Primär sind Veränderungen in Genen des alternativen Komplementweges, vor allem der Komplementregulator Faktor H (CFH), und die hierzu homologen Gene des Regulator of Complement Activation (RCA)-Genclusters CFHR 1-5, als auch Faktor I, Thrombomodulin und die Komponenten der zentralen C3-Konvertase und Faktor B ursächlich für die Entstehung eines atypischen HUS. Ausgeprägte Sequenzhomologien im RCA-Gencluster bewirken häufige Rekombinationsereignisse in dieser Region, die unter anderem durch die Expression pathogener Hybridproteine zur Hyperaktivierung des alternativen Komplementweges und klinischen Manifestation eines aHUS führen können.

Aufgrund der hohen Sequenzhomologie des RCA ist die molekulargenetische Diagnostik sehr herausfordernd. Für die korrekte Auswertung und Interpretation der molekulargenetischen Ergebnisse sind speziell auf diese komplexe Region angepasste Verfahren und ein hohes Maß an Erfahrung erforderlich. Das Verständnis der zugrundeliegenden Dysregulation des Komplementsystems als Pathomechanismus ist essenziell, um eine hochwertige Interpretation der Daten zu gewährleisten. Wir verwenden ein eigenentwickeltes Next Generation Sequencing (NGS)-Genpanel für aHUS und verwandte Erkrankungen, das unter anderem spezifisch auf die homologe Struktur des RCA-Genclusters abgestimmt ist und den zuverlässigen und spezifischen Nachweis komplexer genomischer Rearrangements, die zu pathogenen Hybridproteinen führen, gewährleitstet. Durch die detaillierte Charakterisierung vorliegender Hybridgene ermöglicht unser Verfahren ein besseres Verständnis für Entstehungsmechanismen solcher Veränderungen.

Der Mehrwert unserer aHUS Diagnostik

Eine genetische Untersuchung ist nicht nur essenziell für Therapieauswahl und –steuerung, z.B. durch die Gabe der zur Verfügung stehenden monoklonalen C5-Antikörper, sondern auch wichtige Grundlage für die Abschätzung des Krankheitsverlaufs und im Rahmen einer geplanten Transplantation. Die Kenntnis der zugrundeliegenden genetischen Ursache ist für die richtige klinische Versorgung bei aHUS von enormer Bedeutung. Prognose und Rezidivrisiko unterscheiden sich erheblich – so verursacht aHUS bei Patienten mit einer CFH-Mutation in sehr vielen Fällen ein Transplantatversagen, während Transplantationen bei anderen genetischen Veränderungen ein deutlich geringeres Rekurrenzrisiko haben. Auch bei der Planung von Lebendnierenspenden durch Verwandte des betroffenen Patienten ist eine genetische Diagnostik absolut essentiell, um Verwandte zu identifizieren, die selbst eine genetische Prädisposition für aHUS aufweisen.

Unsere speziell an die Anforderungen von aHUS angepassten genetischen Tests und die Zusammenarbeit unserer erfahrenen Wissenschaftler und Fachärzte für Humangenetik sind entscheidend für eine valide und verlässliche Interpretation der Daten.


> Fallbeispiel: aHUS

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